Gutachten im Auftrag des Thüringer Ministeriums für Wirtschaft und Infrastruktur
Autoren: Riedel, J., Scharr, F.
1999

Mitarbeiter: Pintarits, S., Ridder, M., Schaden, B., Schalk, H.-J., Schreiber, C., da Silva Matos, I., Untiedt, G.

ifo dresden studien 21
ISBN: 3-88512-359-2
ISSN: 0946-7920

Die Untersuchung zu den Wirkungen der Regionalförderung durch die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur” in Thüringen behandelt einen Zeitraum, an dessen Beginn im östlichen Teil Deutschlands ein dramatischer und tiefgreifender Systemwechsel gestanden hat, der infolge der gesamtpolitischen Konstellationen in relativ kurzer Zeit bewältigt werden mußte und in einen schwierigen und langwierigen Transformationsprozeß mündete. Der wirtschaftliche Transformationsprozeß ist davon nur ein — wenn auch wesentlicher und sehr wichtiger — Teil, der in die allgemeine Entwicklungsdynamik eingebunden ist und von dieser erheblich beeinflußt wird.

Die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur ' setzt aufgrund ihres Verfassungsbezuges prinzipiell bei Aspekten der Verteilung von Ressourcen und Einkommen an. Mit ihrer Übertragung auf das ge­samte Gebiet der neuen Bundesländer hat sie jedoch in erster Linie den Charakter eines Instruments zur Förderung des allgemeinen Wirtschaftswachstums bzw. der „nachholenden” Entwicklung angenommen. Sie hat deshalb bisher ihre Förderpolitik in Thüringen ebenso wie in den anderen neuen Bundeslän­dern auf den Übergang von einer staatlichen zentralgelenkten Produktion auf eine durch private Einzelunternehmen dezentral gesteuerte Wettbewerbswirtschaft konzentriert und überwiegend gewerbliche Investitionen unterstützt. Ein Schwergewicht lag auf den kleinen und mittleren Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes.

Die meisten Evaluierungen gehen von einem mikroökonomischen Ansatz aus und versuchen aus den überprüften Einzelmaßnahmen verallgemeinernde Schlußfolgerungen zu ziehen (Bottom-up-Ansatz). Wirkungsmechanismen von Maßnahmen und Instrumenten der allgemeinen Wirtschaftspolitik werden hingegen über makroökonomische Analysen mit Hilfe von ökonometrischen Modellen überprüft und haben den großen Vorteil, daß sie die indirekten Effekte einbeziehen (Top-down-Ansatz). Die vorliegende Evaluierung versucht, beide Ansätze miteinander zu verknüpfen. Der makroökonomische Ansatz geht von den von der Regionalpolitik verfolgten Zielen aus, die interregionalen Unterschiede im Einkommen bzw. der Produktion pro Kopf (Produktivität) zwischen den wirtschaftlich zurückgebliebenen und fortgeschrittenen Regionen zu verringern und zusätzliche Beschäftigung zu induzieren. Zur Erreichung dieser Ziele wird versucht — neben einer Verbesserung der Infrastrukturausgestaltung — über eine Förderung der privaten Investitions-tätigkeit die Kapitalakkumulation in den armen Regionen zu steigern, um auf diese Weise das Wachstum (der Produktivität) zu beschleunigen. Steigt das Wachstum dort über dasjenige in den reichen Regionen, wird allmählich im Wachstumsprozeß die interregionale Angleichung der Einkommen (Konver­genz) erfolgen.

Nach der Übertragung des regionalen Fördersystems in Westdeutschland auf die neuen Bundesländer war die Erwartung groß, daß die Regionalpolitik über den beschriebenen Wirkungsmechanismus auch den Konvergenzprozeß zwi­schen Ost- und Westdeutschland beeinflussen würde. Allerdings scheint der Aufholprozeß Thüringens und der ostdeutschen Länder trotz der intensiven Wirtschaftsförderung zunächst einmal seine Dynamik eingebüßt zu haben. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche Rolle die Regionalpolitik spielt und in welchem Ausmaß sie den wirtschaftlichen Transformationsprozeß beeinflussen kann. Diese Frage wird einer empirischen Analyse unterzogen, gestützt auf neuere Ansätze der Wachstumstheorie, die für die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Wachstum und Konvergenz in den letzten Jahren entwickelt worden sind. Auf der Grundlage dieser Analyse wird untersucht, welchen Beitrag die GRW in Thüringen mit ihrem Instrumentarium der privaten Investitionsförderung zur Konvergenz geleistet hat.